Zukunft der freien Arztpraxis ist in Gefahr

16.03.2015 | Ina-Marlene Schnetzer
„Kürzere Wartezeiten auf einen Facharzttermin werden durch das geplante Versorgungsstärkungsgesetz nicht erreicht“, befürchtet Landtagsabgeordneter Baumgärtner. Bildquelle: Rainer Sturm/pixelio.de
„Kürzere Wartezeiten auf einen Facharzttermin werden durch das geplante Versorgungsstärkungsgesetz nicht erreicht“, befürchtet Landtagsabgeordneter Baumgärtner. Bildquelle: Rainer Sturm/pixelio.de

Bayern/Deutschland – Das geplante GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) erntet nicht nur scharfe Kritik von Seiten der Ärzteschaft: „Die freiberuflich tätigen Ärztinnen und Ärzte bilden den elementaren Kern in unserer wohnortnahen, ärztlichen Versorgung. Sie tragen unverzichtbar dazu bei, dass flächendeckend eine qualitative medizinische Versorgung vorgehalten werden kann. Aber durch das geplante GKV-VSG leitet die Politik nun einen Systemwechsel hin zu einem staatlich dominierten Gesundheitssystem ein und gefährdet damit die Zukunft der Versorgung durch Ärztinnen und Ärzte in eigener Praxis. Das halte ich für einen großen Fehler“, so Landtagsabgeordneter Jürgen Baumgärtner, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und Pflege des Bayerischen Landtags.

Als besonders problematisch betrachtet der Landtagsabgeordnete, dass frei werdende Arztsitze in freien Arztpraxen in überversorgten Gebieten nicht nachbesetzt werden sollen, wenn der zuständige Zulassungsausschuss negativ über die Versorgungsrelevanz entscheidet und gemäß Gesetzesentwurf nicht zwingend ein Nachbesetzungsverfahren durchzuführen ist. Das Durchschnittsalter der derzeit in eigener Praxis praktizierenden Ärztinnen und Ärzte ist in vielen Versorgungsregionen – gerade auf dem Land -  aber bereits relativ hoch. Wenn in kurzem Zeitabstand mehrere Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand gehen und der Nachwuchs fehlt, kann es deshalb schnell von einer Überversorgung zu einer Unterversorgung kommen. Freie Arztpraxen, die in einem derartigen Fall die Versorgung sichern könnten, werden dann zu Zeiten der Überversorgung  gemäß gesetzlicher Vorgabe nicht nachbesetzt.
 
Ein Vorteil bei der Nachbesetzung von Arztsitzen wird Medizinischen Versorgungszentren (MVZs) eingeräumt:  Sie müssen einen neuen Angestellten gar nicht anzeigen. Ein Nachbesetzungsverfahren, das zwingend ansteht, wenn ein freiberuflicher Arzt seine Praxis weitergeben möchte, muss also gar nicht durchgeführt werden. Außerdem sollen auch Kommunen künftig MVZs gründen können. Die kommunal finanzierten MVZs werden dann in Konkurrenz zu den selbstständigen Ärztinnen und Ärzten arbeiten, aber einen größeren wirtschaftlichen Spielraum und damit einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den freiberuflich tätigen niedergelassenen Medizinerinnen und Medizinern haben. Ärztinnen und Ärzte, die die ärztliche Versorgung in einer freien Praxis sicherstellen könnten, werden dadurch regelrecht verdrängt. 
 
Weiterhin ist vorgesehen, dass die Selbstverwaltungen der Ärztinnen und Ärzte, die Kassenärztlichen Vereinigungen, an den ehemaligen Praxisinhaber eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zahlen, wenn keine Nachbesetzung der Praxis erfolgt. Aber wie der Verkehrswert für eine derartige Praxis bestimmt wird, ist nicht festgelegt. Die Kosten sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen übernehmen, das heißt die übrigen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte werden diese Kosten mitfinanzieren müssen.
 
„Durch das neue Nachbesetzungsverfahren werden sich nicht mehr Ärztinnen und Ärzte in unterversorgten Regionen niederlassen, sondern weniger Ärztinnen und Ärzte werden sich für eine eigene Niederlassung entscheiden. Denn das Recht der Ärztinnen und Ärzte auf freie Berufsausübung wird weiter beschränkt und die Ausübung des Arztberufes in eigener Praxis wird insgesamt schwieriger und unattraktiver. Aber wir brauchen junge Ärztinnen und Ärzte, die sich niederlassen, um auch zukünftig eine flächendeckende ärztliche Versorgung sicherstellen zu können“, ist Baumgärtner überzeugt. 
 
Keine schnellere Terminvergabe durch Terminservicestellen 
 
Außerdem bezweifelt der Landtagsabgeordnete, dass die Patientinnen und Patienten durch die vorgesehene Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Einrichtung von Terminservicestellen zukünftig schneller die bestmögliche fachärztliche Versorgung erhalten. „Die medizinische Versorgung in den einzelnen Regionen ist regional gewachsen. Daher sind die Versorgungsstrukturen sehr unterschiedlich. Eine starre bundesweite Organisationslösung wird dem nicht gerecht. Wir brauchen Lösungen, die die regionalen Gegebenheiten beachten, damit zukünftig alle Patientinnen und Patienten schnellstmöglich einen Facharzttermin erhalten“, so Landtagsabgeordneter Baumgärtner. 
 
Einen weiteren Nachteil für die Patientinnen und Patienten sieht Baumgärtner darin, dass sie bei Vermittlung eines Facharzttermins auf die freie Arztwahl verzichten müssen. „Die Bürgerinnen und Bürger sollten frei wählen können, welchem Arzt oder welcher Ärztin sie ihre Gesundheit – und in sehr ernsten Fällen sogar ihr Leben - anvertrauen möchten“, ist Baumgärtner überzeugt. 
 
Als problematisch betrachtet er auch, dass die Kliniken durch die Terminvermittlung zukünftig an der ambulanten fachärztlichen Versorgung teilnehmen sollen, ohne dass dafür ein eigenes Abrechnungssystem geschaffen wird. „Die Leistungen der Kliniken werden nach hohen Klinikhonoraren auf Kosten des gedeckelten Budgets der Fachärztinnen und Fachärzte abgerechnet werden. Damit wird weniger Geld zur Bezahlung der niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte zur Verfügung stehen“, kritisiert der Landtagsabgeordnete. 
 
Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten fördern 
 
Des Weiteren vermisst Baumgärtner eine Regelung zur stärkeren Förderung der Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten im Gesetzesentwurf. „Wir müssen es jungen Medizinerinnen und Medizinern ermöglichen, dass sie ihre Weiterbildung in einer ambulanten Facharztpraxis absolvieren können und sie auf diese Weise für die Tätigkeit als niedergelassene Ärztin oder niedergelassener Arzt in einer eigenen Praxis begeistern. Dies wird entscheidend dazu beitragen, dass wir auch in Zukunft eine flächendeckende Versorgung mit Fachärztinnen und Fachärzten haben werden“, so MdL Jürgen Baumgärtner.
 
Daneben sieht der Landtagsabgeordnete noch bei zahlreichen weiteren Neuregelungen, die die ärztliche Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte betreffen, Verbesserungsbedarf. Er hat deshalb schon zahlreiche Gespräche in München und Berlin geführt und fordert nachdrücklich, dass sich sowohl der Freistaat Bayern als auch die Bundestagsabgeordneten der CSU dafür einsetzen, dass der Gesetzesentwurf überarbeitet wird.